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GILBERT SCHALLER – GEDANKEN (65)

Im September wird der Startschuss für das neue ÖTV-Sportkonzept gegeben. Der Selektionsprozess, Spieler und Trainer betreffend, ist derzeit im Laufen. In Zukunft soll mit weniger SpielerInnen mehr Leistung „produziert“ werden.

Das Zeug zum Champion
(15.7.2009)
Jetzt habe ich mich schon seit längerem nicht mehr mit meinen Gedanken gemeldet. Ich könnte natürlich schreiben, dass ich viel zu tun gehabt habe, was ja auch stimmt, trotzdem wäre für ein paar Zeilen genug Zeit gewesen. Die Wahrheit ist: Ich habe keine Lust, nur des regelmäßigen Erscheinens wegen zu schreiben, sondern nur dann, wenn ich wirklich das Gefühl habe, es gibt ein Thema, worüber ich gerne berichten würde. In London las ich einen Artikel von Boris Becker, in dem er seine Meinung über das britische Tennis zum Besten gab. Dort werden jährlich fast 30 Millionen Euro in die Jugendförderung gesteckt, ein namhafter Coach nach dem anderen wurde engagiert und der Statusquo ist ein Spieler in den Top 150 bei den Männern und eine Spielerin in den Top 100 bei den Damen. Warum dies seiner Meinung nach so ist, hat einen einfachen Grund: Die Athleten sind die Hauptverantwortlichen für den Erfolg, aber auch den Misserfolg, und die meisten Athleten haben nicht den Charakter, dies zu erkennen. Beckers Vorschlag ist, die Talente nicht nach den spielerischen Möglichkeiten zu sichten, sondern nach ihrem Charakter, ob sie das Zeug zum Champion haben. Ein interessanter Vorschlag, wenn auch in der Praxis sehr schwer umsetzbarer Vorschlag.

Startschuss im September
Nun zu uns. Ab September soll unser weiterentwickeltes Konzept in die Tat umgesetzt werden. Die meisten Entscheidungen sind gefallen, einige Detailfragen müssen noch geklärt werden, aber zumindest der Trainerstab steht. Die Details werden nächste Woche vorgestellt. Mit den SpielernInnen und deren Eltern laufen zur Zeit noch Gespräche. Eine erste Selektion hat bereits stattgefunden, jetzt gilt es die endgültigen Gruppen zu bestimmen. Mit der konsequenten Umsetzung des Konzeptes war mir von vornherein klar, dass ich mir nicht immer Freunde machen werde. Nach den letzten Monaten kann ich das bestätigen. Es waren einige, für mich sehr schwere Entscheidungen zu treffen, teilweise waren es sehr emotionale Momente mit den Beteiligten. Egal ob mit Eltern, deren SpielerInnen nicht bei uns bleiben können, oder mit Trainern, mit denen wir als Team lange zusammengearbeitet haben und es nicht möglich ist diese Kooperation zu verlängern. Gerade für unsere Jugendlichen, die noch in die Schule gehen, waren wir bemüht, gemeinsame Lösungen zu finden, um einen problemlosen Schulwechsel, sofern es nötig war, zu ermöglichen. Auch mit einigen Trainern gab es Gespräche, um eine Möglichkeit der Fortsetzung der Tenniskarriere für die Jugendlichen zu bilden.

Mehr Qualität als Quantität
Ich hatte mir vorgenommen, keine Kompromisse eingehen zu müssen. Dies ist und war mit schweren Entscheidungen verbunden, im Sinne meiner bisherigen Erfahrungen bin ich überzeugt davon, dass dies unbedingt notwendig ist. Die Qualität der Ausbildung muss immer im Vordergrund stehen, ein klares Ziel sollte erkennbar sein und auch der Weg, wie dieses zu erreichen ist.  Fehler werden jeden Tag gemacht, wichtig ist die Bereitschaft dafür, sie zu erkennen. Besonders die Athleten selbst sind davon am meisten betroffen. Was habe ich schon alles in Matchanalysen von unseren Jugendlichen gehört, wie oft war dabei die Selbstkritik an erster Stelle? Eindeutig zu selten.  Wie viele sogenannte Profis laufen in unserem Land herum und denken allen Ernstes, sie tun alles dafür um ein Top Tennisspieler zu werden? Sicher eine provokante Frage, aber es nervt mich einfach zu sehen, wie weit manche davon entfernt sind, und trotzdem denken sie, einen Anspruch auf eine entsprechende Behandlung zu haben. Man macht sich nicht immer Freunde, wenn man seinem Gegenüber die Karten auf den Tisch legt. Diejenigen, die die Hintergründe erkennen, sind die SportlerInnen, die etwas fordern dürfen.

Klare Richtlinien für die Zukunft
Das Image des Verbandes ist sicher nicht das positivste, teilweise gerechtfertigt, sehr oft aber auch, weil es einfach jemanden geben soll, der als Sündenbock herhalten muss. Dies ist nicht nur im Tennis so, ich kenne kaum einen Fachverband, der nichts als die Unfähigkeit schlechthin in diversen Foren hingestellt wird. Ein weiteres Ziel sollte daher auch sein, den Tennisverband stärker zu positionieren. Hauptgrund, warum sehr oft Diskussionen aufkommen ist, meiner Meinung nach der , dass die Beteiligten im Verband es jedem recht machen wollen. Logischerweise geht das nicht. Der Verband muss für klare faire Richtlinien stehen, jeder wird innerhalb dieser Richtlinien gleich behandelt. Hält man sich nicht daran, dann wird eine Kooperation nicht möglich sein – wie in jedem anderen Bereich des Lebens auch. Wie im Detail diese Richtlinien aussehen sollen, sollten diejenigen entscheiden, die es betrifft: Trainer, Sportler, Eltern, Funktionäre, Referenten. Gibt es eine einstimmige Meinung über eine Thematik, dann wird es kein Problem sein. Gibt es mehrere Meinungen, muss jemand entscheiden, was das Beste im Sinne der Sache ist. Wer kann das nur sein? Richtig, der Verband.
Ich bin im Moment viel in Österreich unterwegs und freue mich über jeden Vorschlag und jede verwertbare Kritik. Wenn jemand etwas zu sagen hat, dann bin ich jederzeit und gerne bereit für ein Gespräch. Wir sollten aber nicht den Fehler begehen, etwas Neues in Leserbriefen, Forumseinträgen, Kolumnen oder Ähnlichem automatisch vorzuverurteilen - bloß, weil es neu und damit vielleicht auch etwas ungewohnt ist. Warten wir doch ganz einfach einmal ab, wie das neue Sportkonzept greift.

 
Gilbert Schaller

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