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GILBERT SCHALLER - GEDANKEN (64)

Die 3:2-Niederlage im Davis Cup gegen Deutschland wird nach dem ersten Schock im heimischen Tennis generell und bei Jürgen Melzer im Speziellen einige Nachwirkungen haben.

Außergewöhnlicher Druck
(16.3.2009)
Nach einer gewissen Zeit des Verarbeitens möchte ich einen abschließenden Kommentar zur Niederlage von Garmisch-Partenkirchen abgeben: Es hat sehr viele Reaktionen zu diesem 2:3 gegeben; einige waren sehr emotionell und einige auch starker Tobak, was den Ton der Kritik betrifft. Sicher ist, dass dieses Davis Cup-Duell niemand kalt gelassen hat. Weil wir gegen die Deutschen einen Prestigekampf verloren haben, der durchaus zu gewinnen war, und weil sich natürlich wieder die außerordentliche Bedeutung des Davis Cup-Pokals zeigt - diese Identifikation gibt es hier nirgends sonst im Tennis. Das spüren natürlich auch alle Beteiligten. Speziell für die Spieler ist der Druck außergewöhnlich. Was sich da im Kopf eines Athleten abspielen kann, hat dieser Länderkampf wieder einmal bewiesen.

Bittere Pille
Für Jürgen Melzer war es eine sehr bittere Erfahrung und er hat die Enttäuschung der mitfiebernden Tennisfans sicher auch zu spüren bekommen. Eines darf man aber nicht ganz außer acht lassen: Tennis ist eine Einzelsportart, und die Art und Weise wie Jürgen sich mit dem Thema Davis Cup identifiziert, wie er sein Land bestmöglich vertreten will, ist auch positiv hervorzuheben. Nach dem Wiederaufstieg gegen England hat er sich die Mühe gemacht, mit allen Beteiligten Gespräche über Verbesserungen innerhalb des Teams zu führen. Wir hatten dann einen gemeinsamen Termin und besprachen die negativen und positiven Aspekte. Dies hat mich schon sehr beeindruckt und mir gezeigt wie wichtig ihm dieses Thema auch für die Spieler ist. Sicher keine Selbstverständlichkeit. Aber selbstverständlich war die Niederlage gegen Kohlschreiber nach der klaren Führung eine ganz bittere Pille. Das Match, das Jürgen über fast drei Sätze lieferte, war eines der besten, die ich je von ihm gesehen habe. Doch der Sieger hieß am Ende nicht Jürgen Melzer und das  entscheidet.

Neue Basis bei Melzer
Ich werde mit Jürgen sicher noch einmal in Ruhe darüber sprechen, wichtig ist für ihn meiner Meinung nach, sich ein Tennis zu erarbeiten, das auch dann noch funktioniert, wenn es gilt, das Match unter großem Druck "zuzumachen". Er muss die Basis seines Spiels verbreitern. Wenn er das Vertrauen hat, auf diese Basis zurückzugreifen zu können, wenn er weiß, dass er damit bis zur Entscheidung erfolgreich sein kann, dann fällt er nicht mehr so leicht in die alten Verhaltensmuster zurück. Sich diese Basis anzueignen, ist kein übergroßes Problem, aber es gehört sehr viel Disziplin und Prioritätensetzung dazu. Ich denke, dass die Erfahrungen mit - nicht nur in letzter Zeit - aus der Hand gegebenen Spielen ihn dazu motivieren sollten.

Schöne Stunden durch Koubek
Für Stefan Koubek waren die beiden Siege die Krönung seines Comebacks nach der schweren Rückenverletzung. Er hat bestätigt, dass er in seiner Persönlichkeit durch diese bittere Erfahrung gewachsen ist, und das kann für die letzten Jahre seiner Karriere noch sehr viel bewirken. Wichtig für ihn ist, diesen Spirit zu behalten, dann wird er den österreichischen Tennisfans noch viele schöne Stunden des Erfolges bereiten. Für mich persönlich war diese Niederlage eine sehr große Enttäuschung. Wir hatten alles in unseren Händen, hatten den Sieg vor Augen, und deshalb schmerzt die Niederlage umso mehr. Ich habe mich noch sehr oft nach der Begegnung gefragt, ob ich nicht Jürgen hätte zwingen sollen das Doppel zu spielen, aber auch im nachhinein erscheint mir das Risiko zu groß. Er hatte noch Verspannungen in der Wade, was unser Physiotherapeut bestätigt. Keiner kann in einen Körper hineinschauen, und ich war nicht bereit, das Risiko einer Verletzung einzugehen. Noch dazu, wenn man einen starken und erfahrenen Mann wie Alex Peya in der Hinterhand hat.

"Was wäre, wenn?"
Ich muss aber ehrlich zugeben, dass ich, als ich die Aufstellung der Deutschen erfuhr, kein gutes Gefühl mehr hatte. Die Paarung Kiefer/Kohlschreiber pflegt im Doppel einen Stil zu spielen, den Julian Knowle alles andere als gern hat. Und das führte auch bei ihm zu einer zusätzlichen Verunsicherung. Die „Was wäre wenn“- Frage kann man sicher immer wieder stellen, und ich hab sie mir in den Tagen nach dem Davis Cup sehr oft gestellt, es hat mich einige schlaflose Nächte gekostet. Doch Abhaken, die wichtigen Dinge mitnehmen und nach vorne schauen, ist das einzige, was  bleibt. Das Nahziel ist, wieder einmal die Relegation zu schaffen, das Fernziel ein Team aufzubauen, das vielleicht die Erfolge der Vergangenheit wiederholt. Warum soll es nicht wieder möglich sein, innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre den Erfolg eines Davis Cup-Semifinales zu wiederholen? Darauf hinzuarbeiten ist mein großes und erklärtes Ziel. Die Mittel zum Zweck? Straffe und gut strukturierte, qualitativ hochwertige Arbeit im österreichischen Tennis von unserem Fed Cup- sowie Davis Cup-Team ausgehend bis hinunter zu den Leuten, die im Bereich U10 bundesweit tätig sind. Voraussetzung aber ist, dass die Etappenziele auf dem Weg nach oben auch erreicht werden; andernfalls werde ich sicher nicht die erforderliche Zeit dafür erhalten.

Gilbert Schaller




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